Einstiger Stammsitz eines Weltkonzerns ist heute lebendiges Kunst- und Kulturzentrum an der Ruhr
Symbole, u.a. Basilisken zieren den Giebel des Jugendstilhauses Ruhrstr. 3 in der Kultur- und Kunststadt Mülheim
Zum Thema „Darstellungen an der Fassade des Hauses Ruhstr. 3“ Gedanken von Professor Dr. Heiner Treinen, Mülheim
"Es handelt sich um die freie Darstellung des mythischen Viehs, das Basilisk genannt wird und eine Mischung von Drachenleib, Hahnen- (oder Hunde)kopf, Schlangenschwanz und anderen aggressiven Tier-Merkmalen koppelt, also analog zur Figur der Chimäre konstruiert ist und ebenso vieldeutige Sinnbezüge zuläßt. Der Basilisk frißt, wie die Mythologie des Basilisken vorschreibt, Schlangen - siehe die Schlangenornamentik in der oberen Fassadenrundung - und Insekten, was gegen den Augenschein auf Hahnenkopf statt Hundeschnauze hindeutet, während der in sich verschlungene Schwanz wiederum den zentralen Schlangenanteil des Basilisken-Mythos verdeutlicht. Beides bezieht sich auf antike Vorbilder und literarisch verklausulierte magische Denkweisen. Ich würde die ungebrochen weitergeführte magische Botschaft als abwehrzauberisch bezeichnen; von außen betrachtet als zerstörerisch gegenüber bösen Einflüssen, aus interner Sicht hingegen wie der chinesische Drache als Verteidigung gegenüber feindlichen Kräften. Ich denke, daß die spät-mittelalterliche ( oder früh-neuzeitliche) Nutzung von Basilisken-Darstellungen modernes Denken vorwegnimmt: in bildlichen Darstellungen von Inhalten der Naturalienkabinette ab dem späten 17. Jahrhundert (Darbietung realer Objekte als "Kuriositäten" im Sinne von Dingen, die wissenschaftliche Neugier erregen) tauchen plötzlich neben empirischen Tier- und Insektendarstellungen ausgedachte Basiliskenzeichnungen auf; ein ungelöstes Rätsel für die heutigen Interpreten, die Aberglauben vermuten. Ich habe den Verdacht, daß mit solchen Basilisken-Bildnissen eher darauf hingewiesen werden sollte, daß man bei naturwissenschaftlichen Erklärungsversuchen auf religiöse Deutungen verzichten muß; der Bezug zur Antike hatte mit Glauben nichts zu tun, sondern mit Bildung und mit antiken Mythologien, die als solche und nicht als geglaubt erkannt wurden. Was die Auftraggeber und Gestalter der Fassade getrieben hat, Basilisken darzustellen, lässt sich nur erahnen. Für Importeure bislang als exotisch und damit zunächst als ungewiss-gefährlich geltende Konsumgüter mag der Basilisk genau diese Ambivalenz ausdrücken, wobei der antike Bezug einen ironischen Bildungsbeitrag im Sinne von 'fürchtet Euch nicht' beisteuert."
Das Kontorhaus (links angestrahlt) im Denkmalensemble Ruhrstr. 3 bis 9 in der Kunststadt Mülheim an der Ruhr (Aufnahme 2015 während der Mülheimer Kunsttage 2015 von Ivo Franz) – die beiden Häuser in der Ruhrstr. 3 und später Nr.5 bildeten einst den Stammsitz des Tengelmann Konzerns (Wilhelm Schmitz, später Schmitz-Scholl ab 1867). Unmittelbar bei Ruhranlage und Ruhrpromenade der Kunststadt Mülheim an der Ruhr liegt die „Galerie an der Ruhr / Ruhr Gallery” und das “Kunsthaus Mülheim Stadtmitte mit verschiedenen Ateliers”.
Schaut man in die einschlägigen Werke der Geschichtsforscher, findet man schnell den Namen der Mülheimer Unternehmung „Joh. Wilh. Meininghaus Sohn“ einer Kolonialwaren-Großhandlung mit Seifensiederei und Tabakfabrik in der Ruhrstr. 3 – 5. Die Villa Artis stand schon vor 1840 freistehend an der heutigen Stelle und wurde später mit einer Jugendstilfassade überformt. In den 50er Jahren bauten die Architekten Arthur Pfeifer & Hans Großmann das Anwesen zusammen mit dem „Haus der Stromwirtschaft“, Delle 50-52) erneut um. Seit 2012 wird das Anwesen für kulturelle Zwecke genutzt.
Johann Wilhelm Meininghaus (1790–1869), verheiratet mit Henriette Meininghaus geb. Troost (1796–1876) jüngste Tochter des Textilfabrikanten Johann Caspar Troost II (1759–1830) ) tauschte diesen Besitz 1856 mit Ludwig Lindgens (1824 – 1910).
Im von der Stadt Mülheim zur Verfügung gestellten Katasterauszug sind die Umrisse der damaligen Fabrik-Bebauung gut erkennbar.
Mitte Ruhrstr. 1 daneben Ruhrstr. 3 Glockengiebel
Fest steht danach, dass Gebäudeteile abgerissen wurden bzw. mehrfach überformt wurden. Nachgewiesen ist die Wohn-Nutzung der VILLA ARTIS durch die Familie von Wilhelm Schmitz (1831-1887) (späterer Schmitz-Scholl) und Louise Schmitz-Scholl geb. Scholl (1834-1888) und dessen finanziellen Teilhabers und Mühlenbesitzers Ludwig Lindgens (1824-1910), der 1862 aus der Ruhrstr. 3 mit seiner Frau Gertrud Lindgens geb. Rühl (1837-1897) auszog. Wilhelm Schmitz Scholl erwarb den Besitz für 5000 Taler. Von seinen 5 Kindern soll sich später Wilhelm (1861–1927) um das Anwesen in der Ruhrstr. 3-5 gekümmert haben. Später wohnte Wilhelm (1861–1927) in der Ruhrstr. 32.
Heute inspiriert ein einmaliges Ambiente in einem bemerkenswerten Jugendstil – Baudenkmal, das zunächst den Kolonialwarenhändlern Meininghaus und später Schmitz-Scholl als Stammhaus diente und später von Baumeister Ernst Niebel für den Mülheimer Industriellen Carl Nedelmann (1867 – 1947) neben dem historischen Casino-Stammhaus in der Ruhranlage „an der Delle“/Ecke Ruhrstraße 3 zusammen mit der Errichtung der sog. Villa Nedelmann an der Delle Nr. 50 umgestaltet worden sein soll.
Zu der ungewöhnlichen Jugendstilarchitektur wird von Roland Günter in seinem Buch „Die Kunstdenkmäler des Rheinlandes“ in Bezug auf das markante Eingangsportal an der Ruhrstraße Nr. 3 auf das Portal der Londoner „Whitechapel Art Gallery von Townsend“ hingewiesen. Über dem Portal ist keine Banane, die die Ruhr Gallery als “herausragenden Kunstort markiert” – sondern das stählerne Logo “N”, das heute für “Neue Kunst” steht – vor mehr als 100 Jahren war es das Firmenemblem des Mülheimer Stahlhändlers Oskar Natorp .
Der Glasfabrikant Carl Nedelmann richtete schließlich in dem mehrfach überformten Gebäude seine Nebengelasse ein.
Über die neue Ruhrpromenade zum neuen Mülheimer Stadthafen und in die neu gestaltete City der Kunst- und Kulturstadt Mülheim an der Ruhr als „Stadt am Fluß“ sind es nur wenige Schritte in die Galerie für Moderne Kunst Mülheim a. d. Ruhr und das MMKM – MUSEUM MODERNE KUNST MÜLHEIM direkt am Innenstadtpark Ruhranlage.
Vor der vielfältigen Nutzung seit 18405 (heute Kunstmuseum MMKM und Galerie an der Ruhr) in der Ruhrstraße Nr. 3 stand dort die freistehende Villa Artis (siehe Pfeil oben), die später überformt wurde und von Baumeister Ernst Niebel dem Stil der sogenannten „Villa Nedelmann“ an der Delle 54 (wurde leider abgerissen) angeglichen wurde. Auch das Nachbarhaus, Ruhrstraße Nr. 1 fiel der Abrissbirne zum Opfer. Hier entstand 1954-1956 ein 4-geschossiger Verwaltungsbau der Gesellschaft für Stromwirtschaft (GfSt), der seit 2014 ebenfalls unter Denkmalschutz steht. Die GfSt verkaufte das Gebäude 2018 an die Saarner Familie Mies und zog nach Düsseldorf um.
alle diese Gebäude blieben vom Bomben-Krieg verschont
Schöne Aussicht für die Harke/Syntana Mitarbeiter in den 70ern in ihrem Stammsitz am Ruhrufer:
Firmengründer Eberhard Harke residierte in der Ruhrstr. 3 (Haus mit dem runden Giebel) zur Ruhrseite hin – die Mitarbeiter konnten zeitweise bis in die Innenstadt schauen (Foto)
Ansicht von der Ruhr aus – rechts Villa Nedelmann, daneben erkennbar Erkerzwiebeltürmchen der VILLA ARTIS in der Ruhrstr. 3 und Glasdach über dem Treppenhaus – ein Dorado für Kunsthistoriker aus Mülheim an der Ruhr
Im Bild oben ist rechts gut erkennbar das Stammhaus der Gesellschaft Casino e.V., das 1841/1842 von Baumeister Wilhelm Dahmen errichtet wurde.
Die vom Mülheimer Glasfabrikanten Carl Nedelmann errichtete Villa mit ihrem für Mülheim einzigartigen Turmdach bestimmte seinerzeit die Skyline von Mülheim, die historische Ruhrpromenade und die Ruhranlage davor sind gut zu erkennen. Die Villa selbst wurde durch das Nedelmannhaus an der Ruhrstraße erschlossen. Hier fuhren u.a. die Kutschen in den heutigen Galeriehof.
VILLA ARTIS, Ruhrstr. 3 um 1960 – etwa 100 Jahre zuvor Wohnsitz von Tengelmann--Gründer Wilhelm Schmitz später Schmitz – Scholl (vgl. WISSOL)
Figuren als Giebelschmuck der Jugendstil – Fassade
Klassische Stuck-Motive im Jugendstil und deren Darstellungsweise
Die Inspirationen holten sich die Künstler meist aus der Natur. Zu den klassischen Motiven des Jugendstils gehörten daher langstielige Pflanzen wie Orchideen und Lilien. Auch Wasserpflanzen und gewöhnliche Wiesenpflanzen wurden gern verwendet. Tiere mit geschmeidigen Formen wie Schlangen, Salamander, Schwäne, Chamäleons und Flamingos gehörten ebenfalls zu den häufig dargestellten Motiven. Ihre Konturen und Silhouette werden betont. Ihre Darstellung ist flach, was sich in der Sichtweise der damaligen japanischen Kunst begründet. In Frankreich fiel der Jugendstil etwas schwellender und plastischer aus, da die Tradition des Rokoko ihn beeinflusste.
Auf den Spuren von Carl Nedelmann
Umzug der Familie Carl Nedelmann auf die andere Seite der Ruhr „Kassenberg 78“
Carl Nedelmann (1867-1947) Quelle: Geschichtsverein Mülheim / Wikipedia
Wohnhaus von 1895 – 1899 der Familie Carl Nedelmann, rechts neben dem Tor seine Kinder Henny und Otto, bevor er die Villa an der Delle Nr. 54 baute und bezog (siehe oben).
Nach der Zerstörung der Villa Nedelmann an der Delle 50 – 54 in den letzten Kriegstagen zog die Familie in die Villa am Kassenberg 78 auf der gegenüber liegenden Ruhrseite,
Carl Nedelmann war u.a. Mitglied der Mülheimer Bürgergesellschaft „Mausefalle“ nachweisbar von 1928 bis 1947, dort als „Baas“ (Vorsitzender) nachzuweisen von 1939 bis 1947 (Recherche durch Bernd Brinkmann im Jahr 2014). Carl (auch Schreibweise Karl) Nedelmann war auch Gründungsmitglied des Mülheimer Geschichtsvereins im Jahr 1906 und Vorstandsmitglied der Mülheimer Casinogesellschaft (Bürgergesellschaft von 1816).
Carl Nedelmann wurde 1947 beim Überqueren der Bundesstraße B1 vor seinem Haus überfahren und starb an den Folgen des Unfalls.
Link zum Stammbaum der Familie Nedelmann hier.
Zusammenstellung historischer Ausnahmen aus dem Fotoalbum von Carl Nedelmann